V, 2022/1

Pietro Cavallo

Italiani in guerra

Review by: Pascal Oswald

Authors: Pietro Cavallo
Title: Italiani in guerra. Sentimenti e immagini dal 1940 al 1943
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2020
ISBN: 9788815287380
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Reviewer Pascal Oswald - Universität des Saarlandes

Citation
P. Oswald, review of Pietro Cavallo, Italiani in guerra. Sentimenti e immagini dal 1940 al 1943, Bologna, Il Mulino, 2020, in: ARO, V, 2022, 1, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2022/1/italiani-in-guerra-pascal-oswald/

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Pietro Cavallo unternimmt den methodisch anspruchsvollen Versuch, die wechselnden Gefühle und Verhaltensweisen der Italiener sowie den «immaginario collettivo» im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Den von älteren Studien verwendeten, nicht unproblematischen Begriff der öffentlichen Meinung thematisiert er dabei nicht, ebenso wenig ordnet er seine Studie der Emotionsgeschichte zu.

Für sein Vorhaben verwendet er ein reiches Spektrum an Quellen: «Polizeiquellen», zensierte Briefausschnitte, Zeitungsartikel sowie Lieder, Kinofilme und Romane. Insbesondere die zeitgenössischen Kriegsfilme hat Cavallo für die überarbeitete Neuauflage des erstmals 1997 erschienenen Buchs als neue Quelle hinzugezogen. Zu Beginn stellt er sich selbstkritisch der schwierigen Frage, wie repräsentativ das aus seiner Quellenanalyse resultierende Bild ist. Zu Recht spricht er den Einwand an, dass die «Polizeiquellen» mehr über die Arbeitsweise des Überwachungsapparats als über die tatsächliche Haltung der Italiener aussagen könnten, und weist auf die erheblichen qualitativen Unterschiede in der Berichterstattung der einzelnen Informanten hin.

Das untersuchte Zeitfenster reicht im Wesentlichen vom Kriegseintritt Italiens am 10. Juni 1940 bis zum Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943. Während ältere Studien die Meinung der Italiener zum Regime und zum Duce untersuchten[1], konzentriert sich Cavallo auf das Kriegsereignis. Indem er die Auswirkungen der Selbstversenkung des deutschen Kriegsschiffs «Admiral Graf Spee» auf die italienische öffentliche Meinung analysiert, legt Cavallo dar, dass noch Ende 1939 eine «tief verwurzelte antideutsche Feindseligkeit» (S. 34) vorherrschte. Die Entwicklung der «öffentlichen Meinung» von Kriegsbeginn und Erklärung der «non belligeranza» bis zum tatsächlichen Kriegseintritt hat Marco Cuzzi bereits detaillierter dargestellt. Die Reaktion auf die Kriegserklärung Mussolinis war schließlich von mehr Erleichterung als Begeisterung geprägt. Man nahm weithin an, dass der Krieg nicht länger als drei bis vier Monate dauern würde. Das vorherrschende Gefühl blieb jedoch Besorgnis.

Der Enthusiasmus, den die Eroberung der Hauptstadt Britisch-Somalias Berbera durch italienische Truppen auslöste, war kurzweilig. Spätestens der am 28. Oktober 1940 begonnene Griechenlandfeldzug, der manchen gar als «zweites Caporetto» galt, bedeutete das Ende der Illusion von einem kurzen Krieg. Dass die deutsche Unterstützung notwendig war, wurde bald akzeptiert, und dass die Briten wider Erwarten nicht aufgaben, nötigte den Italienern Respekt ab. Bereits im Winter 1940 kam der Krieg durch Bombardements und Nahrungsmittelknappheit in den italienischen Städten an.

Ab Februar 1941 besserte sich der «spirito pubblico». Die Hoffnung auf einen raschen Sieg verebbte jedoch bereits mit Hitlers überraschendem Angriff auf die Sowjetunion. Ab Herbst 1941 manifestieren sich in zahlreichen Briefen bereits «kleine Akte der Rebellion» (S. 88). Je mehr die Medien die Schlagkraft der US-Streitkräfte kleinredeten, desto mehr breitete sich die Befürchtung aus, dass sich der Krieg durch einen Eintritt der USA erheblich verlängern würde.

In gesonderten Kapiteln untersucht Cavallo das «Bild des Krieges» und das «Bild des Feindes» im Wechselspiel von Propaganda und Wahrnehmung. Er zeigt, dass der Krieg als eine Auseinandersetzung zwischen reichen, ausbeuterischen (USA, Großbritannien) und armen Völkern (Italien) propagiert wurde – was sich auch in der Privatkorrespondenz «gewöhnlicher» Italiener niederschlug. Frankreich wurde angesichts seiner niedrigen Geburtenrate als Land des Niedergangs wahrgenommen, ihm gegenüber blieb Großbritannien der Hauptfeind, das von der Propaganda als heuchlerische Demokratie charakterisiert wurde, in der eine Oligarchie die Macht innehabe. Die sich auf zensierte Briefe stützende These Cavallos, dass die an der Ostfront kämpfenden Soldaten das von der Propaganda gezeichnete negative Bild der sowjetischen Bevölkerung nicht teilten, ist angesichts der Forschungen Thomas Schlemmers zu relativieren. Ab Herbst 1942 begann sich auch am «fronte interno» eine zunehmende Wertschätzung der Sowjets abzuzeichnen. Überzeugend vermag Cavallo das ambivalente Amerika-Bild der Italiener herauszuarbeiten: Einerseits war die amerikanische Gesellschaft in den Augen der Italiener von Geld und Gangstertum bestimmt und von einer korrupten Justiz geprägt. Andererseits bewirkten Migration, Musik und Kino ein positives Bild eines fortschrittlichen und zivilen Amerikas. Von Januar 1941 an bemühten sich die italienischen Zeitungen, Präsident Roosevelt als Kriegsbefürworter darzustellen, während das amerikanische Volk den Kriegseintritt ablehne.

Die wenigsten Italiener identifizierten sich mit dem Pazifikkrieg Japans. In der Korrespondenz finden sich spätestens ab März 1942 dramatische Beschwerden über Teuerung und Lebensmittelmangel. In manchen Briefen manifestieren sich bereits Sozialneid gegenüber den als Selbstversorgern gut gestellten Bauern und ein Erstaunen darüber, dass die traditionelle Unterordnung des Landes unter die Stadt nicht mehr galt. Die irrationalerweise entstandene Hoffnung auf ein rasches Ende des Konflikts wurde durch Hitlers Reichstagsrede vom 26. April 1942 zunichtegemacht, in welcher der «Führer» einen weiteren Kriegswinter andeutete und nahelegte, dass auch Deutschland bald mit Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Die Sympathien vieler Italiener gehörten zunehmend den Angloamerikanern und den Sowjets, wohingegen Auslandsdeutsche sich über Anfeindungen vonseiten der Italiener beklagten. Dissidentes Verhalten wie das Hören feindlicher Sender nahm zu. Angesichts des zunehmenden Auseinanderklaffens von Kriegsrealität und Propaganda glaubten immer weniger Italiener den Worten ihres Regimes.

Die Bombardements auf Mailand, Turin und Genua im Herbst 1942 verstärkten die Loslösung der Italiener vom Regime, die mit dem Fall Nordafrikas im Mai 1943 zum unwiderruflichen Bruch führte. Das nationale Gemeinschaftsgefühl zerbrach ebenso wie das Bild des Duce, der nun persönlich für die Katastrophe verantwortlich gemacht wurde.  Fast mit Ärger nahm die Bevölkerung die kurze Rede Mussolinis vom Balkon des Palazzo Venezia am 5. Mai 1943 und die Jahresfeiern zur Gründung des Impero und des Stahlpakts am 9. Mai auf.  Eine allgemeine Friedenssehnsucht und die Überzeugung, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, griffen um sich. Die Massen näherten sich wieder der Kirche an, zu beten erschien vielen als einziger Ausweg aus der Misere. Spätestens ab März 1943 zeigten sich auch am fronte esterno angesichts der feindlichen Übermacht und den Briefen aus der Heimat Kriegsmüdigkeit und Misstrauen. Nach der angloamerikanischen Landung auf Sizilien am 10. Juni 1943 wurde die Kritik am Regime, an Mussolini und an «den Reichen» immer lauter. Diese innere Krise des Regimes ging dem Sturz Mussolinis durch eine innere Opposition faschistischer und monarchischer Eliten am 25. Juli 1943 voraus.

Als eine «Geschichte von unten» ist Cavallos Buch zu begrüßen. Wenn die Idee zu solch einer Arbeit auch kein Novum darstellt[2], ist es ihm durch das collageartige Anordnen und Kommentieren breiten Archivmaterials gelungen, neue Details und Aspekte im Verhalten der italienischen Bevölkerung während der Kriegsjahre 1940-1943 herauszuarbeiten. Bisweilen hätte sich der Rezensent jedoch pointiertere Stellungnahmen gewünscht, etwa zu der kontroversen Frage, ob die Stimmungsänderung gegenüber dem Regime 1942-1943 politisch als eine «antifaschistische Wende» zu sehen ist[3]. Zudem ist zu kritisieren, dass die Forschungsliteratur nicht vollständig berücksichtigt wurde[4].

[1] Vgl. S. Colarizi, L’opinione degli italiani sotto il regime, 1929-1943, Roma-Bari, Laterza, 1991; A. M. Imbriani, Gli Italiani e il Duce. Il mito e l'immagine di Mussolini negli ultimi anni del fascismo (1938-1943), Napoli, Liguori, 1992.

[2] Vgl. N. Gallerano, Il fronte interno attraverso i rapporti delle autorità, in «Il movimento di liberazione in Italia», 1972, 109, S. 4-32.

[3] A. Lepre (Hrsg.), Le illusioni, la paura, la rabbia. Il fronte interno italiano 1940-1943, Napoli, Edizioni Scientifiche Italiane, 1989, S. 5, spricht für die Zeit nach dem Herbst 1942 von einem «antifascismo di massa».

[4] Für die Studien der bereits erwähnten Autoren vgl. M. Cuzzi, L‘opinione pubblica italiana e lo scoppio della guerra, in R. H. Rainero - P. Alberini (Hrsg.), Le forze armate e la nazione italiana, 1915-1943, Roma, 2003, S. 323-351; T. Schlemmer (Hrsg.), Die Italiener an der Ostfront 1942/43. Dokumente zu Mussolinis Krieg gegen die Sowjetunion, München, De Gruyter, 2005 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 91). Zudem bleiben unberücksichtigt: J. Arthurs, Settling Accounts: Retribution, Emotion and Memory during the Fall of Mussolini, in «Journal of Modern Italian Studies» 20, 2016, 5, S. 617-639; M. Avigliano - M. Palmieri, Vincere e vinceremo! Gli italiani al fronte, 1940-1943, Bologna, Il Mulino, 2014; A. Cignitti - P. Momigliano Levi, La censura postale di guerra in Valle d’Aosta 1940-45, Aosta, Musumeci, 1987; R. Martinelli (Hrsg.), Il fronte interno a Firenze 1940-43. Lo spirito pubblico nelle "informazioni fiduciarie" della polizia politica, Firenze, Università degli Studi di Firenze, 1989; G. Pardini, Sotto l’inchiostro nero. Fascismo, guerra e censura postale in Lucchesia (1940-1944), Montespertoli, MIR, 2001; R. Pupo, Lo "spirito pubblico" a Trieste nel tempo di guerra, in A. Ventura (Hrsg.), Sulla crisi del regime fascista 1938-1943. La società italiana dal "consenso" alla Resistenza, Venezia, Marsilio, 1996, S. 165-177.

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